Online-Lesezirkel VERSCHOBEN auf 23. Mai 2023, 18:30 Uhr

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Afrika-Lesezirkel Online-Treffen am Dienstag, 23. Mai 2023, 18:30 Uhr

Diskussion von Mohamed Mbougar Sarr (Senegal/Frankreich):

La plus secrète mémoire des hommes, 2021 /
Die geheimste Erinnerung der Menschen, 2022


Mohamed Mbougar Sarr

Geboren wurde Sarr 1990 in Dakar als ältester von sieben Söhnen in die Familie eines Arztes, welcher wiederum als erster seiner Familie eine universitäre Ausbildung besaß. Bildung spielte für seine Eltern eine große Rolle. Als ausgezeichneter Schüler schaffte Sarr es nach Europa an eine französische Eliteschule. Dann studierte er Literatur und Philosophie und befasste sich in seiner Dissertation mit dem senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor; doch weil er sich ganz dem eigenen literarischen Schreiben widmen wollte, blieb seine Doktorarbeit unabgeschlossen. Er hat bisher fünf Werke (Kurzgeschichten, Novellen und Romane) veröffentlicht und viele Preise gewonnen, zuletzt 2021 den Prix Goncourt. Er lebt in Beauvais nördlich von Paris. Auf Deutsch ist bisher erst dieser, sein letzter Roman erschienen.

Die geheimste Erinnerung der Menschen
Realer Hintergrund für diesen Roman ist der Fall von Yambo Ouologuem (1940 – 2017), einem Autor aus Bandiagara im Dogon-Land, das heute zu Mali gehört. Er hatte 1968 mit seinem ersten Roman Le devoir de violence (Das Gebot der Gewalt, 1969) großen Erfolg in Paris und erhielt einen angesehenen Literaturpreis. Doch bald wurden Plagiatsvorwürfe laut, weil einige Passagen aus anderen literarischen Werken abgeschrieben zu sein schienen; nach einer Klage von Graham Greene wurde das Buch in Frankreich verboten. Yambo Ouologuem zog in den 1970er Jahren nach Mali zurück und man hörte nichts mehr von ihm. Mohamed Mbougar Sarr hat sich durch diesen Fall zu seinem Roman inspirieren lassen; er gedenkt Yambo Ouologuems mit einer Widmung auf der ersten Seite. 

Sigrid Löffler fasst in ihrer Rezension die im Roman aufgeworfenen Themen so zusammen: „Mohamed Mbougar Sarr aus dem Senegal erkannte das exemplarische Potenzial, das in dieser versunkenen Affäre steckt: der Aspekt des Rassismus in der Literaturwelt, das Erbe des fortwirkenden Kolonialismus und Eurozentrismus, der Konflikt um kulturelle Aneignung, die Frage der kulturellen Identität von Afrikanern, die Exaltiertheiten der französischen Literaturszene, die Unwägbarkeiten des literarischen Gedächtnisses und des Nachlebens von Büchern, die damnatio memoriae, die Auslöschung der Erinnerung, als paradoxe Intervention, die erst recht die Neugier erweckt. Kurz: ein opulenter Romanstoff für heute.“ Süddeutsche Zeitung vom 23.11.2022.

Im Zentrum von Sarrs Roman stehen Recherchen nach einem fiktiven senegalesischen Schriftsteller, dem kurzfristig als „schwarzer Rimbaud“ gefeierten T.C. Elimane, dessen Buch Das Labyrinth der Unmenschlichkeit 1938 erschienen ist. Seine Kritiker haben in beschuldigt, abgeschrieben zu haben; so ein herausragendes Buch könne doch unmöglich von einem Schwarzen geschrieben worden sein. Alle Bestände des Buchs sind vernichtet, auch sein Autor T.C. Elimane ist spurlos verschwunden und hat niemals einen weiteren Text veröffentlicht. 

Der Ich-Erzähler, der in der heutigen Zeit diese Recherchen anstellt, ist die Figur eines jungen Schriftstellers aus dem Senegal namens Diégane Latyr Faye; Parallelen zu seinem Autor Sarr sind offensichtlich, ebenso wie Parallelen zwischen Elimane und Sarr. Anders als die beiden fiktiven Schriftsteller hat Sarr aber vor diesem Roman schon vier erfolgreiche Bücher veröffentlicht – und wurde 2021 für dieses Werk mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.

Die Struktur des Romans beurteilt Christoph Vormweg im Deutschlandfunk so: „Mohamed Mbougar Sarrs Kunst ist es, viele Erzählstränge, Informationen und Eindrücke zu lancieren, ohne dass sein Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ schwerfällig wirkt. Die kriminalistische Suche nach T. C. Elimane und die Frage, wer oder was seine Kritiker später einen nach dem anderen in den Selbstmord trieb, trägt den Plot. Hinzu kommt die Rekonstruktion von Elimanes zahllosen Affären, von denen eine seiner Geliebten erzählt, sowie die Sexabenteuer des jungen Erzählers im Hier und Heute. … An Ironie und Humor fehlt es bei alldem nie.“ 

Der Hanser-Verlag, der sich (laut Wikipedia) die deutschen Rechte an diesem Roman um einen sechsstelligen Betrag sicherte, bewirbt ihn unter anderem mit folgendem Zitat aus der Spiegel-Rezension von Enrico Ippolito: „Sarr changiert collagenartig zwischen Tagebucheinträgen, Zeitungsartikeln, Monologen, träumerischeren Elementen. Was kompliziert klingt, entfacht einen ungeheuren Sog. Das liegt an seinem Stil, seiner Sprache, seiner Detektivgeschichte, die Leserinnen und Leser in einen Bann zieht. Gemeinsam mit Diégane betreten sie ein Labyrinth, verlieren sich darin, finden zurück auf den Weg, und wenn sie herauskommen, werden sie nicht mehr so sein wie vorher.“ Der Spiegel, 26.11.22

 

Neue Teilnehmende sind uns willkommen. Anmeldung erbeten bei Lotte Rieder-Fraunlob, von der Sie den Link zum Online-Treffen erhalten.