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Online*-Lesezirkel am 24. Mai 2022, 18:30 Uhr
Diskussion von Mia Couto (Moçambique):
A Confissão da Leoa, 2012 / Das Geständnis der Löwin, 2014
Mia Couto
Am 5. Juli 1955 wurde António Emílio Leite Couto als zweiter von drei Söhnen in Beira, einer Kleinstadt im Norden von Moçambique geboren. Seine Eltern waren aus Portugal eingewandert.
In seiner Jugend schrieb er Gedichte, begann ein Medizin-Studium und engagierte sich im antikolonialen Befreiungskampf. In der jungen Republik Moçambique war er mehrere Jahre als Journalist und Chefredakteur tätig und veröffentlichte sein erstes Buch, einen Gedichtband.
Als Schriftsteller nennt er sich Mia Couto. 1985 begann er ein Biologie-Studium, das er auch abschloss. Während er als Biologe arbeitete, veröffentlichte er Erzählungen und Romane, von denen mehrere auf Deutsch übersetzt erschienen: Das schlafwandelnde Land, 1994; Unter dem Frangipanibaum, Neuauflage, 2007; Jesusalem, 2014; Das Geständnis der Löwin, 2014; Imani, 2017; Asche und Sand, 2021.
Mia Couto wurde mit Journalisten- und zahlreichen Literatur-Preisen ausgezeichnet.
Das Geständnis der Löwin – Rezension von Margit Klingler-Clavijo, 04.05.2015
<lm>… Roman „Das Geständnis der Löwin“ geht es um die patriarchalischen Strukturen eines Dorfes und dessen tiefliegende Konflikte. Dabei zeigen sich die äußerst brüchigen und fragilen Grenzen zwischen Zivilisation und Barbarei.
In Kulumani, einem kleinen Dorf im Norden von Mozambik, greifen seit einiger Zeit Löwen die Dorfbewohner an, in erster Linie Frauen. Ein internationaler Erdölkonzern, der vor der Küste nach Öl bohrt, beauftragt deshalb den Jäger Arcanjo Baleiro, das mörderische Treiben der Löwen zu unterbinden. Der Jäger und der Schriftsteller Gustavo Regalo, der im Auftrag des Konzerns eine Reportage über die Jagdexpedition schreiben soll, reisen daraufhin in das entlegene Nest.
So viel zum Anfang des Romans, in dem abwechselnd eine Frau und ein Mann zu Wort kommen. „Das Wort war meine erste Waffe in einer Welt von Männern und Jägern“, sagt Mariamar. Sie wehrt sich mit Worten gegen eine patriarchalische Dorfgemeinde, in der sich Frauen nicht entfalten können, weder in der Familie, noch im Ältestenrat, der Shitala. …
Der Jäger Arcanjo Baleiro schreibt, weil ihm das gehaltlose Geplapper von Gustavo Regalo auf den Geist geht. Beim Schreiben konfrontiert er sich nach und nach mit seiner traumatischen Familiengeschichte, die er lange Zeit verdrängt hatte. Mariamar und Arcanjo Baleiro hatten sich Anfang der 90er-Jahre kurz vor Ende des Bürgerkriegs kennen gelernt. Mariamar – sie war damals noch ein blutjunges Mädchen – hatte sich Hals über Kopf in den Jäger verliebt und von einem gemeinsamen Leben in der Stadt geträumt.
Doch dazu kam es nicht, da sich Arcanjo Baleiro sang- und klanglos aus dem Staub machte. In tagebuchähnlichen Aufzeichnungen halten die beiden Rückblick auf ihr Leben, erzählen bruchstückhaft von ihren zutiefst gestörten Familien, dem verheerenden Bürgerkrieg und einer Kolonialgeschichte, die bis in die Gegenwart hineinwirkt. Die beiden beziehen sich zwar nie direkt aufeinander, dennoch sind ihre Erzählfragmente zaghafte Annäherungsversuche an die Welt des Anderen. Man spürt auch, dass hier zwei Fremde zu Wort kommen, die sich weder in ihren Familien noch in Mosambik aufgehoben fühlen.
Mariamar, die Außenseiterin des Dorfs, sucht nach Entfaltungsmöglichkeiten und eckt dabei überall an. Arcanjo Baleiro, der Mulatte aus der Hauptstadt, der Sohn portugiesischer Einwanderer ist vom Lebensgefühl her der ewig Fremde. Er braucht lang, bis er kapiert, dass die Angst vor den tödlichen Angriffen der Löwen nur das Symptom tiefer liegender Konflikte einer patriarchalischen Dorfgemeinschaft ist, die Frauen ausgrenzt, demütigt und häufig mit Gewalt in ihre Schranken verweist. Mariamar und ihre Schwester wurden als Mädchen von ihrem Vater missbraucht. Mariamar verlor darüber den Verstand und verbrachte zwei Jahre im Krankenhaus der portugiesischen Mission. …
Mia Couto hat mit der Könnerschaft des Meisters die beiden Erzählstränge zu einem Textgewebe verarbeitet, in dem die rätselhafte Dorfwelt im dunklen Glanz erstrahlt. Unter anderem auch deshalb, weil der Autor von der animistisch geprägten Vorstellungswelt der Dorfbewohner ausgeht, in der es keine starren Grenzen zwischen Leben und Tod, Mensch und Tier, Traum und Wachzustand gibt. Alles ist im Fluss und ständigem Wandel unterworfen. Genial, wie in diesem bewegenden Roman die Metamorphosen der Löwen aus unterschiedlichen Perspektiven die Geheimnisse des Dorfes enthüllen sowie die äußerst brüchige und fragile Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei. – Zur vollständigen Rezension.
Neue Teilnehmende sind uns willkommen. Anmeldung erbeten bei Lotte Rieder-Fraunlob, von der Sie den Link zum Online-Treffen erhalten.
* Bei warmem Schönwetter treffen wir uns auch real, die Diskussion wird dann hybrid geführt; die Adresse erhalten Sie auch hier.