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Angelo SolimanAngelo Soliman ist die zweifellos bekannteste Persönlichkeit afrikanischer Herkunft in der älteren Geschichte Österreichs. Sein ungewöhnlicher Lebenslauf und die entwürdigenden Geschehnisse nach seinem Tod sind nicht nur zum Bestandteil einer Wiener Geschichte des Obskuren geworden, zu einem Teil der "dunklen Mythologie" dieser Stadt, sondern auch zum Gegenstand einer intensiven historisch-kritischen Forschung - beginnend mit einer Biographie Wilhelm A. Bauers (1922), die heute zwar veraltet ist, für damals jedoch als Pionierwerk angesehen werden muß. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war es vor allem das bizarre Schicksal des toten Soliman, das die Phantasie des Publikums erregte. Für die Zeitgenossen hingegen standen Solimans bewegtes Leben und seine Karriere vom Sklaven zum Hofangestellten, Freimaurer und bürgerlichen Privatier im Mittelpunkt - ein Exempel gelungener Emanzipation im Spannungsfeld von Sklavenhandel, Aufklärung und frühkolonialem Rassismus, das den Biographien anderer bedeutender Afro-Europäer des 18. Jahrhunderts (wie Ibrahim Hannibal oder Anton Wilhelm Amo) mit Recht an die Seite gestellt werden kann. Dem Wien Museum ist es zu verdanken, in seiner Herbstausstellung 2011 eine wissenschaftlich ausgewogene und museumspädagogisch sorgfältig gestaltete Aufarbeitung von Solimans Schicksal und seiner Mythologisierung präsentiert zu haben. Auch wenn nach wie vor vieles in seinem Leben und vor allem sein persönlicher Erfahrungshorizont im Dunkeln bleibt, kann Soliman zweifellos als der quellenmäßig am besten dokumentierte afrikanische "Immigrant" (wenn der Begriff hier angebracht ist) der Habsburgermonarchie gelten. Schon elf Jahre nach seinem Tod (1807) erschien eine erste Biographie, verfaßt von der bekannten Wiener Schriftstellerin Caroline Pichler, in Form eines Kapitels in dem berühmten Buch De la littérature des Nègres des französischen Theologen, Aufklärers und Linkspolitikers Henri Grégoire; ein Vorabdruck in deutscher Sprache war kurz zuvor in einem deutschen Magazin veröffentlicht worden. In Österreich wurde der Text erstmals 1814, wohl nicht zufällig im Umfeld des Wiener Kongresses, der sich u. a. mit dem Verbot des Sklavenhandels befaßte, abgedruckt. Pichlers Narrativ, auch Grundlage verschiedener Lexikoneinträge, gewann für Solimans Bild für die Nachwelt eine konstitutive Bedeutung, obwohl sie gerade die politisch brisanten Aspekte von Solimans Biographie - seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern und die Ausstellung seines Leichnams im Museum - mit Schweigen überging. Letztere Information wurde der Öffentlichkeit 1843 von Franz Gräffer - und auch da noch literarisch verbrämt - mitgeteilt, erstere wurde gar erst in den 1870er Jahren bekannt (durch Gustav Brabbée. Als früheste wissenschaftlich-kritische Biographie ist das Werk Wilhelm A. Bauers zu werten (Bauer 1922), in dem erstmals auch archivalische Quellen als Ergänzung oder Korrektiv zu Pichlers Text Verwendung fanden und der ein differenziertes Bild Solimans im gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit zu zeichnen versuchte. Weitere, vor allem auch archivalische Forschungen wurden durch die Wiederveröffentlichung von Bauers Buch in der von Ulrich van der Heyden herausgegebenen Reihe Cognoscere (bisher 18 Bände) durch Monika Firla-Forkl (1993) ausgelöst. Kindheit und Jugend Caroline Pichler zufolge soll der junge Angelo von einer Adeligen in Messina dem kaiserlichen General Johann Georg Christian von Lobkowitz geschenkt worden sein. Dieser kommandierte die Verteidigung der sizilianischen Festung im Spanischen Erbfolgekrieg, bis er im März 1735 zum Abzug gezwungen wurde. Seine "Erwerbung" des Buben wird daher allgemein mit 1734/35 angesetzt. Folgt man Pichler weiters darin, daß Angelo vor seiner Zeit in Messina schon "eine lange Zeit" in Sklaverei gewesen und seinen Eltern als Siebenjähriger geraubt worden sein soll, so wäre seine Geburt in die erste Hälfte der 1720er Jahre zu datieren. Solimans geographische Herkunft ist - trotz verschiedenster Theorien - nach wie vor ungeklärt. Ordnete man ihn ursprünglich den "Galla" in Äthiopien zu (Fitzinger 1868, 5), so wurde später eine Abstammung aus Westafrika für wahrscheinlicher gehalten. Das letzte Wort dazu dürfte freilich noch nicht gesprochen worden sein. Sizilien fungierte in der Tat als ein Endpunkt von Sklaventransporten aus verschiedenen Regionen Afrikas, und daß namhafte Repräsentanten der kurzfristigen habsburgischen Hoheit über die Insel gelegentlich auch afrikanische Sklaven mit sich nahmen, ist noch in einem zweiten Fall belegt. Lokalgeschichtliche Forschungen über Solimans erste europäische Besitzerin blieben allerdings - nicht zuletzt wegen einer schwierigen Archivsituation - zumindest bislang ohne Ergebnis. Interessant ist jedenfalls der Hinweis, daß sizilianischen Sklaven bei ihrer Taufe (und Soliman wurde in Messina getauft) neben einem christlichen Vornamen auch der jeweilige Familienname ihrer Herrschaft gegeben wurde. Eine der wichtigen Familien in Messina im frühen 18. Jahrhundert waren nun die Grafen Sollima (oder Sollyma). Angelos eigentlicher europäischer Name könnte somit Sollima - später verbalhornt zu Soliman - gewesen sein. Pichler zufolge soll Angelo Soliman nach 1735 im Dienst des kaiserlichen Feldmarschalls Lobkowitz geblieben sein, dort (durch einen alten Haushofmeister) eine gute Erziehung erhalten und seinen Herrn bis zu dessen Tod (1753) auf zahlreichen Feldzügen begleitet, ihm einmal sogar das Leben gerettet haben. Die Darstellung klingt nicht unplausibel, ist jedoch durch keinerlei sonstige (archivalische) Informationen belegt. Vor allem ist unklar, ob Soliman damals personenrechtlich noch als Sklave eingestuft war oder ob er zu irgendeinem Zeitpunkt formell freigelassen wurde. Wahrscheinlicher ist, daß sich die faktischen Unterschiede zwischen "Sklaverei" und "häuslichem Dienst" verwischten und im Alltag kaum eine Rolle spielten. 1754 ist das erste historiographisch belegbare Datum im Leben des Angelo Soliman. Unter dem 13. August dieses Jahres scheinen in den Rechnungen des liechtensteinischen Majorats zum ersten Mal Ausgaben für ihn auf: 45 Gulden für "Unterschiedl. Nothwendigkeiten vor den Fürstl. Mohr", eine nicht geringe Summe, die wohl mit seinem Einstand in den Hofdienst des Fürsten Liechtenstein zusammenhängt. Lobkowitz war im Oktober 1753 in Ungarn, wohin man den zuletzt erfolglosen Feldmarschall abgeschoben hatte, verstorben, und Fürst Joseph Wenzel von Liechtenstein, einer der engsten militärischen Berater Maria Theresias, war vom kaiserlichen Hof für eine Übergangszeit mit dem Kommando betraut worden. Anzunehmen ist somit, daß Angelo noch einige Monate bei der Armee in Ungarn verbrachte und dann - da Liechtenstein als Artilleriedirektor seine permanente Residenz in der Hauptstadt nicht aufgeben wollte - im Sommer 1754 endgültig nach Wien übersiedelte. Fürst Joseph Wenzel, bereits in seinen späten 50ern stehend, zählte zu den maßgeblichsten Würdenträgern des habsburgischen Reiches. Als einer der führenden Köpfe der Heeresreform hatte er wesentliche Verdienste um die Verteidigung der Erbfolge Maria Theresias, und als Gesandter in schwierigen Missionen legte er diplomatisches Geschick und repräsentatives Auftreten an den Tag. Die Aufnahme Angelos entsprach dem bekannt opulenten Charakter der Hofhaltung Liechtensteins, der sich schon früher einmal mit einem "Mohren", dessen Name uns nicht bekannt ist, umgeben hatte. Diesen hatte er 1724 an den tripolitanischen Gesandten Mehmet Effendi weiterverkauft. Auch über Angelos erste Jahre am liechtensteinischen Fürstenhof - im heute nicht mehr existierenden "großen Majoratshaus" in der Herrengasse in Wien 1. oder im prachtvollen Palais in der Roßau (wo 1759/60 das berühmte Gemälde Canalettos entstand) - ist wenig bekannt. In einer Besoldungsliste, die offenbar gegen Ende 1761 als Grundlage für die Berechnung der drakonischen Extrasteuer, die Maria Theresia im Oktober verhängt hatte, um die Ausgaben für den Siebenjährigen Krieg gegen Preußen decken zu können, scheint Soliman als dritter von insgesamt fünf Kammerdienern des Fürsten auf; mit einem Jahresgehalt von 150 Gulden (die im Jahr darauf auf 200 Gulden erhöht wurden) lag er gegenüber anderen Dienstbotengruppen besoldungsmäßig im guten Mittelfeld. Ob diese Beträge tatsächlich cash ausbezahlt oder vielmehr teilweise oder zur Gänze in Naturalien bestritten wurden und die Angaben im Akt somit nur die rechnerisch ermittelte Steuerbasis festhielten, wissen wir nicht. Im Jänner 1760 hatte Maria Theresia den Fürsten Liechtenstein damit beauftragt, die vorgesehene Braut des Thronfolgers Erzherzog Joseph, Isabella, nach Wien einzuholen. Aktenmäßig dokumentiert ist die prachtvolle Ausstaffierung des "hochfürstl. Mohren", dessen neu angeschafften "Galla- und Stadtkleider" insgesamt mehr als 600 Gulden kosteten; inbegriffen dabei war ein "türkischer" Säbel, dessen eigenhändig unterzeichnete Empfangsbestätigung durch Soliman vom 30. Mai 1760 erhalten ist - der erste erhaltene Autograph eines Afrikaners in Österreich überhaupt! Der feierliche Einzug der liechtensteinischen Delegation am 3. September 1760 in Parma wurde von der Hand eines unbekannten Malers mit großer Detailliertheit festgehalten, wobei Soliman in exotischer Kleidung hervorstechend auf einem Schimmel paradiert. Umgekehrt kam der feierliche Brautzug am 6. Oktober desselben Jahres in Wien an, wobei Soliman in einem ebenso dokumentarisch präzisen Ölgemälde der Werkstatt Martin von Meytens' (in Schloß Schönbrunn) wiederum aufscheint, und zwar diesmal in der Uniform der sog. Haiduken (jedoch mit Turban) als Angehöriger der neben der Kutsche gehenden persönlichen Dienerschaft. Einige Jahre später wurde Soliman ein weiteres Mal zur Teilnahme an einer grandiosen Haupt- und Staatsaktion eingeteilt. Der Kaiserhof hatte die Entsendung von Fürst Joseph Wenzel als habsburgischem Wahlbotschafter zum Kurfürstenkollegium nach Frankfurt beschlossen. Wiederum wurde eine große Mission auf das Prächtigste ausstaffiert. Am 12. Februar 1764 hielt Liechtenstein seinen von Goethe beobachteten feierlichen Einzug am traditionellen Schauplatz der Königswahl ab, am 3. April wurde Joseph (II.) zum römischen Kaiser gekrönt. Frankfurt brachte für Soliman eine entscheidende persönliche Wende. Wie Pichler detailreich berichtet, gewann er im Glückspiel (dem "Pharao") zwanzigtausend Gulden, also hundert Jahresgehälter. Was auch immer die Einzelheiten gewesen sein mögen, im wesentlichen scheint die Überlieferung glaubhaft: Nach Wien zurückgekehrt, hatte Angelo offensichtlich Geld zur Verfügung! Gestützt auf seinen Spielgewinn, den er möglicherweise bei den bekannten Wiener Finanziers Joseph Karl v. Bender und Franz Xaver von Stegnern veranlagte (Bender sollte 1772 in absentia als Taufpate von Solimans Tochter Josepha fungieren), begann Angelo erste Schritte zur selbständigen Gestaltung seiner Lebensumstände zu setzen. Einen kleinen Teil des Geldes investierte er in eines der volkswirtschaftlich wichtigen Projekte der Monarchie - in die Erschließung des Bergbaus. Zwei Mal, 1767 und 1775, zeichnete Soliman Anteile an den Schladminger Gruben, deren Ausbau ab 1763 von einer privaten Investorengruppe mit staatlicher Förderung betrieben wurde, jedoch wenig rentabel war. Soliman war mit vergleichsweise geringen Summen an der Erschließung zweier Stollen (Kobalt und Schwefel) beteiligt und in die operative Führung des Geschäfts nicht eingebunden. Möglicherweise ging es ihm weniger um die (teilweise) Veranlagung seines Frankfurter Spielgewinns, sondern eher um Zutritt ins Großbürgertum und zur staatlichen Wirtschaftsbürokratie. Zum Beispiel könnte seine Bekanntschaft mit dem Naturwissenschaftler Ignaz von Born, der sich ebenfalls für den Schladminger Bergbau interessierte, auf diesem Weg zustande gekommen sein. Finanziell war Solimans Investition in den Bergbau vermutlich ein Verlustgeschäft; es wird vermutet, daß die Aktionäre (die sog. Gewerken) in betriebswirtschaftlich schwierigen Phasen sogar noch Kapital zuschießen mußten. Vor allem aber dachte Soliman an die Gründung eines eigenen Haushalts. Am 6. Februar 1768 wurden er und die Witwe Magdalena Christiano, geborene Kellermann, durch den Chormagister von St. Stephan getraut. Die Zeremonie fand unter ungewöhnlichen Umständen statt. Der Wiener Kardinalerzbischof, Christoph Anton Graf von Migazzi, hatte verfügt, die Eheschließung dürfe niemandem mitgeteilt werden. Magdalena hatte Zeugen für das tatsächlich erfolgte Ableben ihres Ehemannes beigebracht; Angelo mußte schwören, kein Sklave zu sein (offenbar lag also kein schriftliches Zeugnis einer Freilassung vor!), und beide hatten darüber hinaus noch einen zusätzlichen Eid zu leisten, in dem sie sich vermutlich zur Geheimhaltung ihrer Ehe verpflichteten. Alle diese Umstände deuten auf eine sog. Gewissensehe (matrimonium conscientiae) hin, wie sie der Ortsbischof nach einer päpstlichen Bulle von 1741 aus schwerwiegenden Gründen gestatten konnte. Eheschließungen zwischen katholisch getauften Afrikaner/innen und Einheimischen waren (in Österreich) zwar selten, aber aus kirchenrechtlicher Sicht unproblematisch. Seit Caroline Pichler geht die Forschung daher davon aus, daß die Eheschließung in erster Linie zur Absicherung Solimans geheimgehalten werden sollte, weil dieser als Dienstbote nicht ohne herrschaftliche Erlaubnis heiraten durfte (und weil weder Liechtenstein noch andere hohe Aristokraten den Angehörigen ihrer Hofstaaten eine solche Erlaubnis gewährten). Dies hätte aber keine Involvierung des Fürsterzbischofs erfordert. Außerdem hatte Magdalena (wohl mit Angelos Vermögen) zu diesem Zeitpunkt bereits ein Haus in der Weißgärber Vorstadt gekauft - es bestand also die Absicht, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen, was vor Liechtenstein auf keinen Fall hätte geheimgehalten werden können. Hypothetisch wäre also eher denkbar, daß die Geheimhaltung dazu dienen sollte, dem Fürsten eine öffentliche Demütigung zu ersparen, wenn schon die Heirat selbst (da kein kirchenrechtliches Ehehindernis vorlag) nicht verhindert werden konnte. Mit der geschickt geplanten Hochzeit hatte sich Soliman jedenfalls aus einem feudalen Dienstverhältnis gelöst. Er verlor dadurch zwar seine Stellung am Hof des Fürsten und somit Arbeit und Unterkunft, doch war damit für ihn und Magdalena die Möglichkeit eines bürgerlichen Familienlebens eröffnet. Für manch andere im aristokratischen Hofdienst war weiters ein Präzedenzfall in Richtung Emanzipation sowie Trennung von Beruflichem und Privatem geschaffen. Mit etwa 1.300 Einwohnern und nur 82 Häusern zählte "Unter den Weißgärbern" zu den kleinsten Vorstädten Wiens. Abgesehen von einer Reihe von Gärtnern dominierten lärm- und abfallintensive Betriebe - wie zum Beispiel Schlächter und Gerbereien -, die Luftqualität war notorisch schlecht. Einmal pro Woche fand nahe dem Glacis ein großer Viehmarkt statt, auf einer weiter auswärts gelegenen Weide wurden gelegentlich noch Hinrichtungen durchgeführt, und die blutrünstigen Veranstaltungen im Hetztheater lockten tausende Schaulustige an. Warum übersiedelten die Solimans gerade in diese nicht wirklich renommierte Vorstadt? Das faktische Immobilienangebot Ende der 1760er Jahre wird hiefür ebenso eine Rolle gespielt haben wie der Umstand, daß der Weißgärbergrund dem Stadtrat unterstand und eine Einflußnahme des Fürsten kaum zu befürchten war. Vor allem aber konnte hier ein rechtliches Problem umgangen werden: Weder Angelo noch Magdalena waren ja Wiener Bürger (oder solchen gleichgestellt) - und daher auch nicht berechtigt, Grundbesitz in der Stadt zu erwerben. Nur mittels einer speziellen Konstruktion, die der Zustimmung des Stadtrats und der Mitwirkung lokaler Honoratioren (hier des Grundrichters Anton Hundspichler) bedurfte, konnte "Frau Magdalena Christiano jetzt verehelichten Solomanin" ins Grundbuch eingetragen werden. Das war zwar keine unübliche Vorgangsweise, dürfte aber doch "einige Straitt, oder Irrungen" herbeigeführt haben, sodaß bei "künftiger Alienirung" (Besitzveränderung) nur mehr "Bürger, oder Bürger Rechtsfähigen" (sic) Berücksichtigung finden sollten. Das Besitzrecht der Solimans muß juristisch also als prekär und lokalpolitisch als umstritten angesehen werden. Zweifelsohne wurde Soliman hier wie nie zuvor mit dem Alltagsleben der ärmeren Bevölkerung konfrontiert. Daß er sich in dieses bodenständige, ja derbe Ambiente integrieren konnte, ist kaum wahrscheinlich, zumal seine Kenntnis des Deutschen zu wünschen übrig ließ. Materiell scheint sich die Lage der Familie verschlechtert zu haben, je länger seine Erwerbslosigkeit anhielt; durch die Kosten für Hauskauf, Umbau, Eheschließung und den laufenden Unterhalt (ganz abgesehen von den Bestechungsgeldern, die vermutlich für die eine oder andere "Sondergenehmigung" hatten bezahlt werden müssen) war der Spielgewinn von Frankfurt wohl bald aufgebraucht. Unter einfachen Verhältnissen wurde Angelo und Magdalena am 18. Dezember 1772 eine Tochter, Josepha, geboren. 1783 mußte das Haus gar zwangsversteigert werden. Die Situation der Familie hatte sich freilich schon zum Besseren gewendet. Der Tod von Fürst Joseph Wenzel und die Übernahme des Majorats durch seinen Neffen, Franz Josef, hatten eine überraschende Wende gebracht: 1773 war Soliman an den Liechtenstein'schen Hof zurückgekehrt, zwei Jahre später auch wieder in die Herrengasse gezogen. Im Hintergrund standen - teils sogar archivalisch nachvollziehbar - längere, von Angelo mit großer Zähigkeit und Bestimmtheit geführte Verhandlungen über die Modalitäten eines Dienstverhältnisses (als solches kann seine Situation jetzt schon bezeichnet werden). Zunächst wurde er neuerlich in den Liechtenstein'schen Hofdienst aufgenommen; mit einem guten Jahresgehalt von 600 Gulden scheint er ab 1. April 1773 in den Majoratsrechnungen auf, und auch ein Anspruch von Solimans Tochter und allfälligen Enkelkindern auf eine Hinterbliebenenpension wurde offenbar vereinbart. Am 1. Oktober d. J. unterschrieb er darüber hinaus eine Erklärung, im Fall des Ablebens des Fürsten "bey dessen ältesten Herrn Sohn unter gleichen Bedingungen so lange [zu] verbleiben..., bis dieser entweder die Volljährigkeit erreichet, oder sich vereheliget haben wird." Daraus scheint nun in der Tat eine Art von Betreuungsfunktion Angelos für den damals vierzehnjährigen Erbprinzen Alois hervorzugehen (als "Gesellschafter" sollte Josepha dieselbe anläßlich ihrer späteren Eheschließung bezeichnen). 1775 wurde Soliman wieder eine Dienstwohnung in einem Seitentrakt des Palastes in der Herrengasse genehmigt. Wann und unter welchen Umständen Soliman mit den Freimaurern in Kontakt gekommen war und welcher Loge er ursprünglich angehört hatte, ist unbekannt. Sein Übertritt zur "Wahren Eintracht" am 17. August 1781 - er befand sich noch im Liechtenstein'schen Dienst - wurde von dieser einhellig und "wegen seinen nicht zu glücklichen Umständen" sogar unentgeltlich akzeptiert. Wer seine Aufnahme betrieben hatte, ist unbekannt; Soliman stand jedoch, wie erwähnt, mit mindestens einem der Mitglieder in Verbindung: dem Bankier Franz Xaver Frh. von Stegnern, der zuvor Persönlichkeiten aus dem Großbürgertum den Weg in die Loge geebnet hatte. Von Anfang an war Soliman jedenfalls fest in der "Wahren Eintracht" verankert. Schon am 6. Oktober erfolgte seine Erhebung vom Gesellen- in den Meistergrad. Im Rahmen der politischen Aufbruchsstimmung in den ersten Regierungsjahren Josephs II. spielte die St. Johannis-Loge "Zur Wahren Eintracht" eine besondere Rolle. Im März 1781 von fünfzehn Mitgliedern der Loge "Zur gekrönten Hoffnung" gegründet, entwickelte sie sich rasch zu einem Sammelpunkt der reformistisch eingestellten bürgerlichen Elite der Stadt; mehr als die Hälfte der Mitglieder stammte Mitte der 1780er Jahre aus Beamtenschaft, Militär und Wissenschaft, während der Anteil des Adels unter demjenigen anderer Logen lag. Bezogen auf das Wiener Freimaurerwesen stellte die "Wahre Eintracht" eine Verschiebung des Akzents in Richtung Aufklärung dar und bot josephinisch gesonnenen Kräften im Bereich der höheren Beamtenschaft und der Intelligenz mehr als andere Logen die Möglichkeit eines politischen Engagements, ohne noch (wie die "Jakobiner" später) den Rahmen des aufgeklärten Absolutismus zu überschreiten. Darüber hinaus lag die Bedeutung der Loge in ihrem wissenschaftsfördernden Anspruch, der vor allem durch Ignaz von Born (1782-85 "Meister vom Stuhl") vorangetrieben wurde und über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus Interesse erregte. Was brachte die "Wahre Eintracht" dazu, einen Afrikaner nicht nur gleichberechtigt in ihre Reihen aufzunehmen - ein fast einzigartiges Ereignis in der Geschichte der frühen Freimaurerei -, sondern ihm seinen Beitritt durch den Nachlaß der teuren Gebühren noch zu erleichtern? Im Kern spielte wohl die Absicht eine Rolle, das aufklärerische Image der neuen Loge durch die Aufnahme Solimans, dessen Person die Überwindung althergebrachter Servilität gegenüber dem Hochadel symbolisierte, zu verstärken. Ging es für manche vielleicht nur um einen orientalisierenden touch, so mag anderen seine Präsenz in der Loge einen Anstoß zur Reflexion über Gleichberechtigung, Rassismus und Sklaverei gegeben haben. Für Soliman selbst brachte die Aufnahme nicht nur einen persönlichen Durchbruch im Hinblick auf gesellschaftliche Anerkennung mit sich, sondern war auch gleichbedeutend mit einem klaren politischen Statement, mit dem er seine Unterstützung für die Bemühungen des Kaisers um Aufklärung, Rationalität und Reformen bekundete. Obwohl als Meister erst frisch promoviert, begann Angelo eine für die Entwicklung der Loge wichtige, zweifellos bereits im Vorfeld akkordierte Rolle zu spielen. Er war es, der am 14. November 1781, in der 33. Sitzung der Loge, den als Hofrat für das Münz- und Bergwesen tätigen Edlen Ignaz von Born zur Aufnahme in die "Wahre Eintracht" vorschlug. Damit begann Borns steile Karriere an die Spitze der Wiener (und der österreichischen) Freimaurerei. Auf Borns Vorschlag wiederum - er war im März 1782 zum "Meister vom Stuhl", also zum Vorsitzenden der Loge, gewählt worden - wurde Soliman zum sog. "frère terrible" ernannt, der für die Prüfung der beitrittswilligen Kandidaten verantwortlich war (sieht man in Mozarts Zauberflöte die künstlerische Wiederspiegelung eines freimaurerischen Ritus, so ist diese Funktion gleichbedeutend mit jener des "Sprechers" der Priesterschaft in der Oper). 1784/85 bekleidete Angelo noch einmal eine Funktion, nämlich jene des Substituten des Zeremonienmeisters, dem u. a. die Betreuung der "besuchenden Brüder" oblag. Zu diesen gehörte Wolfgang Amadeus Mozart, welcher (Anfang Jänner 1785 noch als Geselle) der Loge "Zur Wohltätigkeit" angehörte, jedoch mehrmals in der "Wahren Eintracht" zu Gast war. Solimans ursprünglich eifrige Teilnahme an den Zusammenkünften der Loge war zu dieser Zeit bereits sporadisch geworden. Ob dafür ein schwindendes Interesse, höhere persönliche Belastung (etwa durch die Krankheit seiner Frau) oder schon die Bestandskrise der Loge verantwortlich zu machen sind, sei dahingestellt. Angesichts wachsender demokratischer Tendenzen fand die ab Mitte der 1780er Jahre zunehmend restriktiv werdende Politik des Kaisers auch in der behördlichen Gleichschaltung der Freimaurerbewegung ihren Niederschlag. Im Dezember 1785 wurde die "Wahre Eintracht" behördlich mit zwei kleineren Logen in eine Sammelloge "Zur Wahrheit" vereinigt. Soliman befand sich zwar unter den 272 zugelassenen Brüdern, blieb allerdings nur kurze Zeit Mitglied. Gemeinsam mit Born verließ er die neue Loge schon 1786. Seit Ende 1783 - Schützling Alois Joseph war großjährig geworden und hatte die fürstliche Erbschaft angetreten - befand sich Soliman in Pension; in den Liechtenstein'schen Rechnungen scheint er fortan als "gewester Kammerdiener" auf. Seine Bezüge wurden ihm weiter bezahlt, und auch die Dienstwohnung in der Herrengasse (Nr. 130) konnte die Familie vorerst behalten. Erst zu Anfang der 1790er Jahre, als das Palais umgebaut und der betreffende Gebäudeteil ganz abgerissen wurde, stand wieder Wohnungssuche an. Angelo und seine Tochter - Ehefrau Magdalena war 1786 an einem Nierenleiden verstorben - übersiedelten auf die nahegelegene Freyung ins Haus Zum Rothen Mandl (heute Wien I., Freyung 9), an der Ecke zum Tiefen Graben gelegen. Hier hatten die Solimans um jährlich 120 Gulden eine Wohnung im dritten Stock gemietet, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, einer Holzschupfe sowie einem Dachbodenabteil. Angelos letzte Bleibe war also ein moderates bürgerliches Quartier. Die Informationen, die uns über seine letzten Lebensjahre vorliegen, sind spärlich und nicht unbedingt deckungsgleich. Wieweit er seine Kontakte zum Fürstenhaus bzw. zu den hochrangigen Persönlichkeiten, die er früher kennengelernt hatte, weiterhin pflegte, ist schwer zu sagen. Von den Freimaurern, die vom Kaiser Ende 1785 gleichgeschaltet worden waren, hatte er sich, wie erwähnt, zurückgezogen. Über einige Reisen, die er unternommen haben soll, ist wenig bekannt. Pichlers Bemerkung, daß er im Alter zurückgezogen lebte, könnte mit anhaltenden finanziellen Problemen ebenso zu tun haben wie mit einer gewissen Enttäuschung über die politische Entwicklung. Darauf jedenfalls deutet sein Brief an den ungarischen Literaten Ferenc Kazinczy - einen der wenigen nachweisbaren Freunde dieser Jahre - vom 16. November 1792 hin: "Ich lebe ziemlich ruhig, entfernt von der grossen Welt, seh ich zuweilen die Plötzliche Stats Veränderungen mit kaltem Blute zu" - offensichtlich eine Anspielung auf den Tod Kaiser Leopolds II. im März dieses Jahres und auf die politischen Veränderungen, die darauf folgten. Am frühen Nachmittag des 21. November 1796 erlitt der "Pensionär" Soliman (auf der Straße, wie Pichler festhält) einen Schlaganfall; der Sterbende konnte wohl noch in seine Wohnung gebracht werden, wo am selben Nachmittag die Todeserklärung durch einen städtischen Leichenbeschauer erfolgte. Zwei Tage später, am 23. November 1796, fand auf dem zuständigen Währinger Friedhof (s)eine Beerdigung statt. Soliman post mortem Vermutlich erfuhr Solimans Tochter Josepha erst im Nachhinein davon, daß eine (Schau-?) Obduktion des Verstorbenen an der Universität geplant war; vielleicht handelte es sich aber auch nur um einen Vorwand für das, was wirklich vorfiel. Schon am 15. November 1796 nämlich - also fast eine Woche vor Solimans Tod - hatte der Direktor des kaiserlichen Naturalienkabinetts, Abbé Simon Eberle, bei der niederösterreichischen Landesregierung die "Überlassung der Leiche des verstorbenen [sic] Mohren Soliman" beantragt (Sauer 2007). Sein Gesuch wurde von den Behörden genehmigt (mit bestimmten Auflagen, die wir nicht kennen), ein entsprechender Bescheid an die Polizeioberdirektion jedoch erst am 25. November schriftlich ausgefertigt - zwei Tage nach dem Begräbnis. Die ohnehin rasche bürokratische Prozedur scheint also vom Gang der Ereignisse überrollt worden zu sein. Unwahrscheinlich ist, daß Eberle angesichts dessen untätig geblieben war; eher ist anzunehmen, daß er - mit welchem Mitteln auch immer - die Abgabe des Leichnams oder von Teilen desselben für sein in Neugestaltung befindliches Museum auch ohne schriftlichen Bescheid durchsetzen konnte. Wahrscheinlich wurden die zur musealen Bearbeitung erforderlichen Körperteile Solimans - also in erster Linie wohl seine "Haut" - noch vor Abhaltung des Begräbnisses vom übrigen Körper getrennt und für die museale Aufstellung vorbereitet, möglicherweise unter Heranziehung der Polizei. In einem Hof des Museumsgebäudes (heutige Nationalbibliothek am Josefsplatz) wurde Solimans abgezogene Haut auf eine Holzfigur gespannt und in traditioneller Weise als "edler Wilder" dekoriert. Durchgeführt wurde dies durch den Bruder des damaligen Direktors, Carl Eberle, der zuvor schon mehrere Tierfiguren präpariert hatte. Möglicherweise entstand damals auch die Soliman schon zeitgenössisch zugeschriebene Totenmaske aus Gips, die sich heute im Badener Rollet-Museum befindet. Dem Aktenlauf zufolge brachte Solimans Tochter erst mit einer gewissen Zeitverzögerung "in sichere Erfahrung", daß eine museale Präsentation des präparierten Körpers ihres Vaters geplant war. Auf ihr Ersuchen formulierte das fürsterzbischöfliche Consistorium - das administrative Leitungsgremium der Erzdiözese, das einmal wöchentlich unter Teilnahme des Fürsterzbischofs (1796 noch immer Migazzi) zusammentrat, am 7. Dezember einen scharfen Protest an die niederösterreichische Landesregierung. Als dieser ergebnislos blieb, wendete sich Josepha (deren Aktivitäten vor dem Hintergrund der seit den Jakobinerprozessen 1794/95 herrschenden Terrorhysterie als außerordentlich couragiert eingeschätzt werden müssen) noch direkt an die Behörde, allerdings mit demselben negativen Ergebnis. Zweifelsfrei geht daraus hervor, daß die Schändung der Leiche des Angelo Soliman weder mit Zustimmung der Familie des Verstorbenen erfolgte, noch daß Soliman selber einer musealen "Verwertung" seines Leichnams zugestimmt hatte. "Seine Tochter kämpfte unermüdlich, um ihn wiederzubekommen", sollte sich später der ungarische Freund Angelos erinnern. Zwar hatte die niederösterreichische Landesregierung - wider besseres Wissen - die Vorwürfe Josephas, ihr Vater wäre zur Ausstopfung und Ausstellung unter "anderen wilden Thieren" bestimmt, dementiert. Als das private kaiserliche "Physikal-, Kunst-, Astronomie- und Naturkabinett" jedoch im November 1797 eröffnet wurde, befand sich dort in einem vorhangverhängten Kasten die taxidermisch präparierte Figur Solimans. "Angelo Soliman war in stehender Stellung mit zurückgerücktem rechten Fuße und vorgestreckter linker Hand dargestellt, mit einem Federgürtel um die Lenden und einer Federkrone auf dem Haupte, die beide aus roten, weißen und blauen, abwechselnd an einander gereihten Straußfedern zusammengesetzt waren. Arme und Beine waren mit einer Schnur weißer Glasperlen geziert und eine breite aus gelblichweißen Münz-Porcellanschnecken (Cyprea Moneta) zierlich geflochtene Halskette hing tief bis an die Brust herab", berichtete Fitzinger 1869. In den folgenden Jahren sollten die schon präparierte Leiche eines sechsjährigen schwarzen Mädchens, welche die Königin von Neapel 1798 dem Kaiser geschenkt hatte, und der Ende 1799 verstorbene, vermutlich aus dem Gebiet des Indischen Ozeans stammende Tierwärter der Schönbrunner Menagerie, Michael Anjou, dessen Abtransport ins Museum sogar öffentliches Aufsehen erregte, folgen. 1808 soll dem Museum noch der afrikanische Kammerdiener Leopold Hammer übergeben worden sein, der zehn Jahre zuvor bei den Barmherzigen Brüdern verstorben und offenbar dort ausgestopft worden war. Aber da standen die Figuren schon nicht mehr in der Schausammlung des Naturalienkabinetts. Die Umgestaltung der Sammlung durch einen neuen Direktor, Carl von Schreibers, der wieder stärker die wissenschaftliche Ausrichtung des Museums betonte, hatte 1806 zur Entfernung der Menschenpräparate Anlaß gegeben. Wie die übrigen Figuren wurde auch jene Solimans ins Depot gestellt und mit einer Tafel versehen: "Vi nec e merito est Angelus inter bestias situs" ("Durch Zwang und nicht, weil er es verdient hätte, wurde ein Engel zwischen wilde Tiere gestellt") - gleichsam eine museumsinterne Entschuldigung für das, was geschehen war. In Einzelfällen (Beziehungen und/oder Trinkgeld) war eine Besichtigung der Präparate freilich weiterhin möglich - bis hinein ins Revolutionsjahr 1848. Ende Oktober dieses Jahres fiel das Depot des kaiserlichen Naturalienkabinetts einem Kollateralschaden der Rückeroberung Wiens durch die kaiserliche Armee zum Opfer. Mit den übrigen afrikanischen Präparaten verbrannte auch jenes des Angelo Soliman. Literatur: Bauer, Wilhelm A. (1922): Angelo Soliman, der hochfürstliche Mohr. Ein exotisches Kapitel Alt-Wien, Wien (Neuausgabe durch Monika Firla-Forkl; Berlin 1993). Blom Philipp/Kos Wolfgang (Hg.): Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien. Wien 2011. Sauer Walter: Angelo Soliman. Mythos und Wirklichkeit, in: ders. (Hg).: Von Soliman bis Omofuma: Geschichte der afrikanischen Diaspora in Österreich 17. bis 20. Jahrhundert. Innsbruck-Wien-Bozen 2007, S. 59-96
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