Zusammenfassung – Seminar „Prekär – Who Cares? Informelle Beschäftigung im Südlichen Afrika“

Bericht über das Schwerpunktseminar am 14. November 2023: „Prekär – Who Cares? Informelle und prekäre Beschäftigung im Südlichen Afrika“, Linz.

Foto: Helena Hornung

Am 14. November 2023 fand an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Linz das Seminar „Prekär – Who cares? Informelle Beschäftigung im Südlichen Afrika“ als Teil des Dialogprojekts „Begegnung Südliches Afrika statt. Neben allgemein Projektinteressierten Teilnehmer:innen fanden sich auch einige Studierende ein, um gemeinsam im Seminar zu reflektieren: was hat die prekäre Situation informell wirtschaftender Menschen im Südlichen Afrika mit „mir“ zu tun?


Arbeiten ohne Dienstvertrag – ohne Absicherung, ohne fixes Einkommen ohne Regeln?
Informelle Beschäftigung – ein Arbeitsverhältnis ohne Dienstvertrag, fixes Einkommen, Arbeitnehmer*innenrechte, soziale Absicherung oder Stabilität ist als Phänomen im südlichen Afrika besonders stark verbreitet. Mehr als zwei Drittel der „Beschäftigten“ arbeiten unter prekären Bedingungen in der „Schattenwirtschaft“, die sich der Kontrolle des Staates entzieht. Überdurchschnittlich häufig sind hierbei Frauen betroffen. Vor diesem Hintergrund wurde in einem ersten Teil über Fallbeispiele aus Südafrika gesprochen. Maria Kirchner leitete mit dem ersten Fallbeispiel der südafrikanischen Fotografin und Künstlerin Andy Mkosi ein und erläuterte die prekäre Situation von „self-entrepreneurs“, wie sich Mkosi selbst bezeichnet. Helena Hornung führte weitere Beispiele von prekär Beschäftigten an, die entweder in einer Art Quasibeschäftigungsverhältnis (es gibt also eine:n Arbeitgeber:in, allerdings besteht kein formales Dienstverhältnis), als Tagelöhner:innen oder als Selbstständige Unternehmer:innen eines Marktstandes wirtschaften. Mit dem Aufzeigen der Fallbeispiele sollte einerseits verdeutlicht werden, dass informelle Beschäftigung sehr differenziert und nuanciert zu betrachten ist. Andererseits sollten die Beispiele zeigen, dass Informalität auch Normalität bedeuten kann. Alle genannten informell Tätigen haben einen sehr strukturierten Tagesablauf, weisen in ihrer Tätigkeit eine gewisse Kontinuität auf (arbeiten 7 Tage die Woche, teilweise seit 10 Jahren kontinuierlich am selben Platz) und gehören zum Stadtbild wie selbstverständlich dazu. Auch die Themen, die sie beschäftigen sind ähnlich zu Dienstnehmer:innen eines fomalen Beschäftigungsverhältnisses: Arbeitszeit, Absicherung im Krankheitsfall, Aufstiegs- bzw. Weiterbildungschancen, Sicherheit am Arbeitsplatz etc. 

Ihre Situation unterscheidet sich dann doch von jener, die formal beschäftigt sind. Es gibt eben keine Absicherung von außen, niemand, außer sie selbst, der sich verantwortlich für sie fühlt, soziale Sicherung stellen sie sich selbst her, indem sie sich beispielsweise als community zusammentun und Geld für Krisenzeiten sparen. 

Prekärsein ist uns allen gemein – Prekarität ist eine soziale Konstruktion
Nach diesem praktischen Einstieg folgte als zweiter Teil des Seminars ein theoretischer Input zum Thema „Prekarität“. Es wurde dabei unterschieden in Prekärsein und Prekarität. Es wurde argumentiert, dass das Leben grundsätzlich prekär ist – Jeder Mensch wird sozusagen prekär geboren, da die eigene Existenz vom Schutz des Lebens und der Sorge durch andere abhängt. Prekarität hingegen ist ein soziales Konstrukt, das dadurch entsteht, dass sich einige vor diesem Prekärsein schützen möchten, indem sie sich selbst in eine priveligiertere Situation heben als andere, die aus ihrer Sicht weniger schützenswert sind. Möchte man diese Prekarität dekonstruieren, gilt es also damit zu beginnen, den Schutz aller Menschen zu verfolgen, anstelle des Schutzes einiger weniger auf Kosten anderer.

 Es ging außerdem darum, zu erkunden, inwiefern informelles Wirtschaften prekär ist. Dazu wurde auf die Geschichte der industriellen Revolution im 19. Jh. verwiesen, in der die sogenannte „Pauperismusfrage“ aufkam. Der industrielle und wirtschaftliche Fortschritt brachte setzte gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in Gang, produzierte gleichzeitig aber auch sogenannte „Überzählige“, welche über keine in gesellschaftliche Werte übersetzbare Kompetenz verfügten. Man nahm ausbeuterische Verhältnisse eher hin, wenn man unter der ständigen Angst leben musste, auch bald zu den Überzähligen zu gehören. Zur existenziellen Bedrohung kam eine Problematisierung ihrer Präsenz und schließlich eine komplette soziale Ausgrenzung hinzu.

Foto: Helena Hornung

Ähnlich lässt sich das Phänomen der Informalität betrachten: Nach außen hin gibt es jene, die formal gesehen ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten und jene, die als „Überzählige“ im Schatten der Gesellschaft leben. Allerdings verhehlt diese Betrachtungsweise den Fakt, dass informell wirtschaftenden unentbehrlich in die gesellschaftlichen Austauschbeziehungen eingebunden sind. Gerade in Ländern des globalen Südens ist dür das Funktionieren der Formalwirtschaft die sogenannte „Schattenwirtschaft“ unentbehrlich – auch für die Gesamtgesellschaft spielt die informelle Ökonomie eine existenzielle Rolle: ohne sie könnte sich ein Großteil der Bevölkerung in Ländern des globalen Südens nicht erhalten, selbst Menschen, die in der Formalwirtschaft beschäftigt sind, sind teilweise auf die günstigen Produkte und Dienstleistungen informell wirtschaftender angewiesen. Die Informelle Wirtschaft ist sozusagen eine Reaktion auf die Prekarität und substituiert zum Teil auch die Formalwirtschaft mit günstigen Dienstleistungen.


Globales Lernen – Lernen voneinander anstelle von Eurozentrismus
Im dritten Teil ging es sodann um das Thema „Globales Lernen“. Dabei handelt es sich um einen pädagogischen Ansatz, der darauf abzielt, die Menschen für die komplexen, dynamischen und wechselnden Realitäten und Herausforderungen der globalisierten Welt zu sensibilisieren. Verständnis für globale Zusammenhänge steht dabei im Vordergrund. Globales Lernen soll die Lernenden befähigen, kritisch zu denken, verschiedene Perspektiven einzunehmen (Vielfalt und Multiperspektivität), komplexe Probleme zu analysieren und konstruktive Lösungen zu entwickeln. Lernen wird dabei als nie endender (iterativer) Prozess begriffen. Es geht auch über die rein akademische Wissensvermittlung hinaus und zielt darauf ab, die Lernenden zu aktiven, verantwortungsbewussten und global engagierten Bürger:innen zu machen, die sich für eine gerechtere und nachhaltigere Welt einsetzen. Gut kombinierbar ist dieses Konzept in der Praxis mit den 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen.  In diesem Teil gingen die Vortragenden auf die Verbindungen zwischen Nord und Süd sowie Lokal und Global ein. Warum müssen wir uns damit beschäftigen, welche Arbeits- und Lebensbedingungen in weit von uns entfernten Gegenden der Welt herrschen? Worin bestehen die Verbindungen zwischen hier und dort? Inwiefern profitieren wir  im GlobalenNorden auch von diesen Zuständen? Die eurozentrische Perspektive und ihre Konzepte prägen nach wie vor allzu oft unseren Blick auf globale Zusammenhänge. Abschließend gab es eine ausführliche Diskussionsrunde, in der die Teilnehmer:innen, die ihre Sichtweisen reflektierten und persönliche „lessons learned“ schilderten.  

die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen: https://sdgs.un.org/


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