Zusammenfassung – Seminar „Weinbau und -handel in Südafrika: Genuss mit kolonialem Erbe?“

Bericht über das Schwerpunktseminar am 19. Juni 2023: „Weinbau und -handel in Südafrika: Genuss mit kolonialem Erbe?“

Am 19.06.2023 fand das zweite Schwerpunktseminar zum Thema Weinbau und -handel in und mit Südafrika, diesmal im großen Saal der Gewerkschaft GPA in Wien, statt. Die Vorträge wurden diesmal mitgeschnitten und zu einem Podcast verarbeitet, der hier angehört werden kann. Dieser Podcast fasst das Seminar und seine Inhalte in bündiger Form für alle Interessierten zusammen. 


Status Quo – Kontinuitäten von Landbesitz und prekären Bedingungen auf Weinfarmen in Südafrika
Zunächst gab Sandra Feichtner, Projektreferentin für Südafrika bei der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, einen aufschlussreichen und anschaulichen Überblick über Geschichte und Gegenwart des Weinbaus und -handels in Südafrika. Um den Kontext politischer Maßnahmen der südafrikanischen Regierung zu verstehen, wies sie auf die Wichtigkeit hin, den historischen Kontext zu kennen, der den heutigen Status Quo in vielerlei Hinsicht mitgeprägt hat. Kontinuitäten und Nachwirkungen aus der Kolonialzeit und der Zeit der Apartheid führten dazu, dass Südafrika heute unter den Ländern der Welt eine der größten Vermögensungleichheiten in seiner Bevölkerung aufweist. Im Hinblick auf die Weinfarmen zeigt sich dies besonders in den ungleichen (Land-)Besitzverhältnissen, die nicht nur die Arbeits- und Lebensbedingungen der Farmarbeiter:innen bedingen, sondern auch deren ungleiche Chance auf politische Teilhabe und Mitbestimmung.

Die Verhältnisse, unter denen die Farmarbeiter:innen leben und arbeiten müssen, sind prekär: Stabile Anstellungsverhältnisse gibt es immer weniger, Saison- und Leiharbeit sind auf dem Vormarsch. Globale Lieferketten und steigende nationale und internationale Arbeitsmigration drücken die Löhne. Immer häufiger werden Arbeiter:innen im Rahmen der sogenannten „Evictions“ von den Farmen vertrieben, auf denen sie üblicherweise nicht nur arbeiten, sondern auch leben. Darüber hinaus sind die Beziehungen von den Arbeiter:innen zu den Farmer:innen häufig nach wie vor von Paternalismus und Rassismus geprägt. Frauen hätten unter diesen Verhältnissen besonders zu leiden.

Foto: Helena Hornung

„End the double standards!“ – Das Problem mit den Pestiziden
Neben diesen Ungleichheiten sozialer, ökonomischer und politischer Natur verweist Feichtners Kollegin Heidrun Leitner auf einen weiteren Umstand im südafrikanischen Weinbau hin, der dringend einer Änderung bedarf. Frau Leitner, Referentin für Anwaltschaft und Projektreferentin Afrika der Dreikönigsaktion, wirft einen Blick in die aktuelle Pestizidkampagne von Women on Farms und verweist auf die Doppelstandards europäischer Länder: Einerseits werden bestimmte Pestizide als stark gesundheitserregend eingestuft und deshalb aus der Europäischen Union bzw. aus dem jeweils eigenen Land verbannt. Andererseits ist beispielsweise der deutsche Chemiekonzern BASF einer der Hauptproduzenten für diese Chemikalien, die zwar in Deutschland nicht eingesetzt werden dürfen, dafür aber gewinnbringend in Länder wie Südafrika verkauft werden. 

Sie betont auch, dass neben dieser Fehlverantwortung des globalen Nordens, aus dem heraus gefährliche Pestizide in den globalen Süden vertrieben werden, auch die örtlichen Bedingungen in Südafrika anzuprangern sind. Den Weinarbeiter:innen wird nicht einmal Schutzkleidung zur Verfügung gestellt, um die Pestizide auszubringen. Im Gegenteil sie nutzen ihre Privatkleidung, mit der sie nach getaner Arbeit, d.h. nachdem sie sich den ganzen Tag in giftigen Pestizidwolken bewegt haben, nach Hause zu ihrer Familie und ihren Kindern gehen. Es sind also auch indirekt die Kinder von den Schadstoffen betroffen. Oft wissen die Arbeiter:innen nicht, wie schädlich diese Stoffe sind – und selbst wenn das Wissen vorhanden ist, bleibt ihnen keine andere Wahl, da sie sonst ihre Lebensgrundlage verlieren. 

Foto: David Stier


Women on Farms – Eine Gegenbewegung zu politischer Exklusion und Ausbeutung 
Um die Lage für die Arbeiter:innen wirklich zu verändern, wäre laut Feichtner und Leitner ein breiter Wandel notwendig. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien grundsätzlich nicht schlecht in Südafrika, wie Frau Feichtner betonte. Jedoch scheitert deren praktische Umsetzung und Durchsetzung oftmals. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass viele nicht ausreichend über ihre Rechte Bescheid wissen und ein sehr geringer Grad an gewerkschaftlicher Organisation herrscht. Wiederkehrend werden Arbeiter:innen, die ihre Recht wahrnehmen wollen auch bedroht und einzelne Gruppen gegeneinander ausgespielt. Aufklärung über die Rechte und die Durchsetzung dieser, sowie stärkere Organisation und Mobilisierung sind bedeutsame Maßnahmen, die es zu verfolgen und zu forcieren gilt.

Dabei an vorderster Front tätig ist die Organisation „Women on Farms“ (WoF). Sie arbeitet mit Farmarbeiterinnen und unterstützt diese dabei, ihre Rechte zu kennen und gemeinschaftsbasierte Strukturen aufzubauen. Aus Südafrika zugeschaltet waren im Seminar Colette Solomon, die Leiterin des Projektes und die WoF-Aktivistin Joanne Johannes. Sie berichteten eindringlich über die Probleme, mit denen Frauen auf den Weinfarmen tagtäglich konfrontiert sind und wie ihre Arbeit dieser Gruppe beim Kampf gegen die Ungerechtigkeiten unterstützen kann. Frauen sind auf Farmen häufig besonders benachteiligt, wofür es mehrere Gründe gibt. So werden sie etwa meist nur als saisonale Arbeitskräfte eingestellt und haben generell schlechter bezahlte Jobs auf den Farmen als ihre männlichen Kollegen. Daraus ergibt sich ein Verhältnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht nur zu den Farmer:innen, sondern auch zu den männlichen Arbeitern, etwa wenn es um das Wohnen geht. Colette Solomon erklärte, dass in diesem Klima auch geschlechterspezifische Gewalt ein großes Problem ist, wobei dieses Thema auch in den Kampagnen von WoF ein sehr wichtiges ist. Wie schwierig die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass laut Frau Solomon 88% der Frauen auf Farmen Hunger leiden müssen.

 

Foto: Women on Farms Project auf Instagram

WoF setzen auf einen breiten Mix aus Maßnahmen in ihrer Arbeit. Dabei bewegen sie sich stets im Spannungsfeld zwischen der individuellen und strukturellen Dimension des von ihnen angestrebten Wandels. Beide sollen gleichermaßen abgedeckt werden, wie Colette Solomon betonte, die einzelne Arbeiterin also ebenso Unterstützung bekommen, wie größere Kampagnen. Die Arbeit gliedert sich dabei in fünf Hauptkomponenten:  Recherche, Bildung und Aufklärung, Aktivismus, Mobilisierung und Aktion. Durch diese Mittel soll die Situation für Frauen auf Farmen nachhaltig verbessern. Politisches Lobbying und anwaltschaftliche Arbeit der Organisation zielen darauf ab, die Gesetze besser durchzusetzen.

Joanne Johannes gab Einblicke in die Arbeit als WoF-Aktivistin. Der Aktivismus möchte breitere gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Probleme schaffen. Dazu wird demonstriert und Kontakte zu den Medien geknüpft. Das gegenwärtige Hauptproblem, das WoF ausleuchten möchten, ist die Vielzahl der, meist illegalen, „Evictions“, im Rahmen derer Farmarbeiter:innen von ihren Arbeitgeber:innen direkt oder indirekt von den Farmen vertrieben werden und dort nicht mehr leben können.

 


Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit – keine Frage des Entweder-Oders
Nach angeregter Diskussion und kleiner Pause schloss der offizielle Teil des Seminars mit einem Vortrag von Franz Rosner ab, der als Forschungskoordinator an der Höheren Bundeslehranstalt und Bundesamt für Wein- und Obstbau tätig ist, und sich dort unter anderem schwerpunktmäßig mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Er referierte über die Rolle Südafrikas als Produzent und Exporteur am internationalen Weinmarkt. So ist Südafrika hinsichtlich der produzierten Menge ein wichtiger Akteur am Markt, nicht aber hinsichtlich des Wertes: Südafrikanischer Wein wird in wesentlichen Teilen als billiger Fasswein exportiert. Der Großteil der Wertschöpfung findet dann häufig erst im Exportmarkt, also beispielsweise in Europa statt, wo der Wein dann erst in Flaschen abgefüllt wird und zu immer noch billigen Preisen im Supermarkt- oder Diskonterregal landet. Dies ist laut Rosner symptomatisch für die Nachhaltigkeitsproblematik des südafrikanischen Weines: Die drei Säulen der Nachhaltigkeit – die soziale, die ökonomische und die ökologische – müssen gleichermaßen beachtet und ausgefüllt werden, um negative Implikationen zu vermeiden. So führt etwa der Status als Billigproduzent und der damit verbundene Preisdruck als Mangel ökonomischer Nachhaltigkeit auch zu einer Verschlechterung der bereits ausführlich beschriebenen sozialen und ökonomischen Probleme der Farmarbeiter:innen, aber auch von Farmer:innen. Eine Konsequenz ist es, dass kleinere Weingüter verschwinden und größere Konzerne immer mehr deren Platz in Südafrika einnehmen.

Franz Rosner über Agrarökonomie im Weinbau / Foto: David Stier

 

Auch wir alle als Konsument:innen sind also gefragt. Der Kauf von Billigweinen aus Südafrika kann zur Fortsetzung und Verschärfung dortiger Probleme beitragen. Der Kauf von nachhaltig produzierten Weinen zu einem angemessenen Preis ist im Hinblick auf das Geschilderte wie auch auf den Klimawandel die bessere Wahl. Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen dieses Seminars kann außerdem helfen, eine gezieltere Suche nach Weinen anzustellen, deren Kauf auch dazu beitragen kann, die prekären Bedingungen nicht noch zu fördern.


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